Der VW-Skandal um manipulierte Abgaswerte, der auch in Sachsen Arbeitsplätze und Kommunalfinanzen gefährdet, ist ein gravierendes Beispiel von nicht nachhaltigem Handeln in Wirtschaft und Politik. Zur Umschiffung eines kurzfristigen Problems wurde so gehandelt, dass dadurch für morgen und übermorgen Existenzbedrohungen in Kauf genommen und direkt verursacht wurden. Solche auf lange Sicht immer sehr teuren Nachhaltigkeitsdefizite fanden und finden sich jedoch auch im Handeln von Regierung und Kommunen. Im aktuellen Abgasskandal gab es jahrelang ein gemeinsames Agieren von Industrie und staatlichen Akteuren, Standards und Vorschriften vor allem Industrie- statt verbraucherfreundlich zu handhaben. Nachhaltigkeitsdefizite werden nun angesichts des VW-Debakels gleich auf mehreren Ebenen offenbar: in der millionenfachen Überschreitung von Emissionsgrenzwerten, in gefährlich kurzfristig und nicht am Gemeinwohl orientiertem Handeln in der Wirtschaft sowie in Risiken einer einseitig auf „Leuchttürme“ orientierten Unternehmensansiedlungs- und Wirtschaftsförderstrategie. Eine sozial und ökologisch orientierte Marktwirtschaft ist der Rahmen, in dem Innovationen im Interesse des Gemeinwohls wirken können. Damit sich dies in Umwelt- und Lebensqualität manifestiert, muss Politik die Regeln definieren und durchsetzen. Wenn nötig, muss sie das auch konsequent gegen einzelne Interessengruppen tun – wie mächtig diese auch sein mögen. Fortschritte auf diesem Weg sind manchmal mühsam. Es gibt jedoch keine Alternative zur ehrlichen, konsequenten Orientierung an Nachhaltigkeitszielen. Jeder Versuch, sich darum zu drücken, wird unweigerlich zur Beschädigung von Industriestandort, Vertrauen und Zukunftsfähigkeit führen – sei es beim Thema Umwelt- und gesundheitsschädlicher Abgasemissionen oder beim Widerspruch zwischen Klimaschutz und Braunkohle. Wenn Politik nicht im Sinne des Gemeinwohls agiert, nehmen sowohl die Akzeptanz unserer Demokratie als auch die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft Schaden. Bei VW wurde versucht, die harten Stickoxid-Emissionsvorgaben im Automobilbereich zunächst mit Software-Tricks zu umgehen - vielleicht in der Hoffnung, die Vorgaben an sich später noch weglobbyieren zu können. Doch ist es etwas anderes, wenn die sächsische Staatsregierung mit Nebelkerzen in der Hand versucht, sich im Interesse der Kohlewirtschaft um klare nationale Emissionsminderungsziele herum zu tricksen? In der Hoffnung, die Emissionsminderungsziele später noch rechtzeitig kippen oder Ausnahmen durchsetzen zu können?
Hier kann es nur eine Schlussfolgerung geben: Die Zeiten des Green-Washing, der Lippenbekenntnisse und der stillschweigenden, intransparenten Übereinkünfte zwischen Industrie und Politik müssen endgültig vorbei sein! Gelingt auf diesem Gebiet keine grundlegende Neuorientierung, ist der wirtschaftliche Erfolg besonders auch Sachsens mit seinen regionalen Abhängigkeiten von Automobilbranche und Braunkohle massiv gefährdet. Der VW-Abgasskandal sollte ein zusätzlicher Impuls sein, nicht bei der Aufklärung individuellen Fehlverhaltens stehen zu bleiben, sondern durch eine Grüne Wirtschaftspolitik für Sachsen künftig solchen Fehlentwicklungen entgegen zu wirken. Damit Unternehmen stärker in die ökologisch-soziale Modernisierung investieren, brauchen sie Planungssicherheit und eine klare Perspektive. Der Staat muss verhindern, dass jene, die nachhaltig wirtschaften, die Umwelt schützen und langfristig orientiert handeln, Wettbewerbsnachteile erleiden. Eine überbordende Regulierungsflut ist dabei nicht hilfreich, wohl aber das Setzen klarer und wirksamer Leitplanken. Mit Blick auf unsere Verantwortung für künftige Generationen gibt es keine Alternative zur Nachhaltigkeit im unternehmerischen und im politischen Handeln!
Wir von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Sachsen leiten daraus folgende wirtschaftspolitische Konsequenzen ab:
- Wir fordern angesichts der Risiken des VW-Desasters für Arbeitsplätze und Kommunalfinanzen in Sachsen, grundsätzlicher über Kriterien der Ansiedlungs- und Förderpolitik des Freistaates nachzudenken und nicht bei Symptomlinderungsversuchen in der aktuellen Situation stehen zu bleiben.
- Wir fordern, endlich Nachhaltigkeitskriterien bei staatlicher Innovations- und Wirtschaftsförderung zu berücksichtigen. Neben Energie- und Ressourceneffizienz, hohen Sozial- und Umweltstandards müssen auch Kriterien wie "Compliance", "Corporate Governance" und Grundsätze der Unternehmensethik eine wichtige Rolle spielen. Sie sind zu fordern und ihre Einhaltung ist zur Bedingung für direkte und indirekte Förderung mit öffentlichen Mitteln zu machen. Zukunftsfähiges, dem Gemeinwohl dienliches Verhalten ist eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass sich auch die Gesellschaft in besonderem Maße engagieren kann.
- Eine Ansiedlungspolitik, die regionale Monostrukturen erzeugt, schafft auch enorme regionale Abhängigkeiten und Risiken - nicht nur in der Automobilindustrie. Die Geschichte der Mikroelektronik in Dresden und die Risiken von Milliardeninvestitionen in die Braunkohle sind weitere Beispiele. Was soeben noch mit großen gesellschaftlichen Anstrengungen gefördert und angesiedelt wurde, ist kurze Zeit später bereits „too big to fail“ und droht dann, dem politischen Handeln Schranken zu setzen statt umgekehrt. Eine ausgewogene, diversifizierte Wirtschaftsstruktur mit hohem Anteil kleiner und mittelständischer Unternehmen wirkt hingegen stabilisierend und darf angesichts von großen "Ansiedlungserfolgen" nicht vernachlässigt werden.
- Sachsen braucht eine offensive Strategie zur Förderung von Schlüsselbranchen für die Transformation zu einer Energie- und ressourceneffizienten Wirtschaft. Politik hat dabei technologieneutral vorzugehen, ohne alte Geschäftsmodelle auf Basis fossiler Energieträger und fortschreitender Umweltzerstörung zu konservieren. Das kann gelingen, wenn Wettbewerb zum Wettstreit um die beste ökologische Lösung wird, indem Preise mehr und mehr die ökologische Wahrheit sagen.
- Wirtschaftspolitik in Sachsen muss umdenken: soziale Marktwirtschaft muss sich zur sozial-ökologischen Marktwirtschaft weiterentwickeln, um zukunftsfähig zu sein. Die soziale Marktwirtschaft preist gesellschaftliche Solidarität in den Wirtschaftskreislauf ein und handelt dies zwischen den gesellschaftlichen Gruppen immer wieder aus. Auch der ökologische Fußabdruck unseres Tuns muss nun ehrlich und dauerhaft Berücksichtigung finden. Politik muss lernen, diesen Paradigmenwechsel zu begleiten, zu befördern und auch einzufordern.
- Eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung lässt sich nicht mehr allein auf Basis des Kriteriums Bruttoinlandsprodukt „BIP“ ansteuern. Zwar wird Sachsen im Vergleich mit anderen Bundesländern auch beim BIP noch tatsächlich wachsen müssen, doch die Abkopplung des Wachstums von Ressourcenverbrauch, Schadstoff- und Treibhausgasausstoß ist dabei entscheidend für den längerfristigen Erfolg.
Beschluss als PDF